ERINNERUNGEN AN DIE JUGEND

Der Rhythmus pulsierte in meinem Kopf, in meinem Körper, in meinen Händen, trommelte mit Macht, mal laut, mal leise, fast zärtlich, melodisch, dann wieder gewaltsam, ekstatisch, fordernd. Sicher eines der besten Schlagzeugsoli, die ich je hingelegt hatte. Der Rest der Band, die Zuhörer, sie alle verschwanden, verschwammen hinter dem Klang- und Rhythmusteppich, den ich produzierte. Es war toll, wie in alten Zeiten.

Dann verhaspelte ich mich leider, in einer komplizierten Synkope….und wache auf. Dienstagmorgen auf einem Bauernhof im Sauerland, im Gästezimmer. Federbetten, geblümte Vorhänge. Gleich ein mächtiges Frühstück, Wurst, Schinken, Käse, Brötchen, Butter, Kaffee…..Ich fühle mich schwer.

Damals, in den guten alten Zeiten, fühlte ich mich leicht. Ich weiß nicht, ob ich damals die süßen kleinen Meisen wahrgenommen hätte, die heute vor meinem Frühstücksfenster an den Meisenknödeln hängen, mit gelbem Bauch. Oder ob ich das Rotkehlchen bemerkt hätte, das kurz über die Terrasse hüpft. Habe ich damals vor dem Einschlafen ein Käuzchen schreien hören? Irgendwann einmal? Vielleicht!

Sicher wäre mir aber auch damals der durchdringende Schrei eines Bussards oder Habichts aufgefallen. Raubvögel haben mich schon immer fasziniert. Ein Adler, das wäre ich gern gewesen, immer schon. Auch damals, in den guten alten, wilden Zeiten. Als Schlagzeuger. Drummer, richtig gesagt.

Als ich 15 wurde, bekam ich mein erstes Schlagzeug. Sonor. Gebraucht. Nicht das Beste, aber auch nicht das Schlechteste. Für einen Anfänger gut genug. Es stand im Keller, zwischen Briketts, Kartoffelkiste und dem Schrank mit dem eingemachten Obst. Snare, Bass drum mit einem Tom und einem Becken, Hi-hat. Ein paar Stöcke, fertig. Es gab die Beatles, die Stones, die Kinks, das waren meine Favoriten. Zuhören, nachmachen. Köln war voll von Bands, die auf unzähligen Schulfeten auftraten. Ich stand dabei und beobachtete den Drummer. Probierte es zu Hause aus, spielte es nach. Übte bekannte Musikstücke ein, ich kann auch nach 55 Jahren noch jeden Schlag von Charlie Watts auf den ersten Stones-LPs auswendig.

Es muss für die Nachbarn ein Albtraum gewesen sein, noch 100 Meter weiter konnte man mich hören. Ich durfte nicht länger als 2 Stunden pro Tag üben, sonntags gar nicht. Aber das reichte.

Bald war ich Drummer in einer Band, ich erinnere mich an House of the Rising Sun von den Animals, A Whiter Shade of Pale von Procol Harum, Words von den Bee Gees….Gute Musik, populäre Musik, langweilige Musik. Das konnte es nicht sein.

Die Haare wurden länger, die Freunde kifften und soffen, und aus dem lieben W. wurde ganz allmählich ein langhaariger bärtiger Freak mit Kaninchenfell-Jacke oder Lammfellmantel, die Selbstgedrehte im Mund (Schwarzer Krauser) oder die Rothe.

Gerade im letzten Augenblick hatte ich noch ein ziemlich gutes Abitur hingelegt, mit dazugehörigem Skandal, denn ich war der einzige, der zur mündlichen Prüfung ohne Anzug und Krawatte erschien. Aber immerhin spielte ich bei der Abschlussfeier noch die 1. Geige im Schulorchester - mit Krawatte.

Mein Musikgeschmack blieb eigentlich relativ konventionell, immer noch Stones, Jimmy Hendrix, Cream, Doors, Deep Purple, Pink Floyd, Nice, Them, Hardin and York, um nur ein paar herauszugreifen. Aber die Bands beeinflussten uns nur am Rande. Wir begannen eigene Musik zu spielen, die Songs waren nur ein Vorwand für lange Sessions, wie im Jazz. Orgel- und Gitarrensoli, Basssoli, Schlagzeugsoli. Legendär die Zwiegespräche zwischen Rudi, unserem Bassisten, und mir, Dreiviertel-Stunde nur Bass und Drums, ständig wechselnde Rhythmen, Synkopen, Rhythmusexperimente. 5/4-Takt, 7/4-Takt, 17/8-Takt. One-two-one-two-three-one-two-one-two-three-one-two-one-two-one-two-three, macht 17. Wie man so etwas spielen kann? Üben, üben, üben…..Nichts anderes im Kopf haben….Trommeln am Tisch, in der Bahn, auf dem Geländer, auf dem nackten Rücken der Freundin…Woher kam diese Besessenheit?

In der Rückschau verschwimmt alles zu einem großen Rausch, jedes Detail wird sofort aufgefressen von einem berauschendem Wirbel, in dem ich mich drehte, den ich selbst entfachte, ein triebhaftes Sein, das in seiner intensivsten Phase 2 Jahre andauerte. Und Musik war die Triebfeder, Rhythmus, genauer gesagt! Selbst Sex spielte bloß eine Nebenrolle, Rauschmittel waren nur Beiwerk für mich. Familie spielte überhaupt keine Rolle, selbst Freunde waren nur Randerscheinungen, sofern sie nicht mit mir musizierten. Alles drehte sich um Musik.

Und während wir spielten, war ich Gott. Da gab es keine Zweifel, da gab es keine Sünde, alles war erlaubt, alles war gut, alles war richtig. Ich hatte jede Freiheit, ich nahm sie mir einfach, und alles war reine Notwendigkeit. Es gab keinen Unterschied zwischen Freiheit und Notwendigkeit, ich war frei, mich den Zwängen hinzugeben. Und die Zwänge entstammten meiner Freiheit. Ein Wahnsinn.

Ich erinnere mich, wie ich aus der Ekstase erwachte und feststellte, dass wir seit 3 Stunden auf der Bühne standen.

Damals war ich mager.

 

Ob ich auch Vögel singen hörte, daran erinnere ich mich nicht.